Seit 2015 bereiteten die Bewohner*innen eines Altbaus im Wedding seine Übernahme als Hausprojekt vor. 2017 hatten sie unterstützt vom Mietshäusersyndikat bereits Zusagen für mehr als drei Millionen Euro eingeworben. Dann entdeckten sie zufällig, dass ihr Haus im Internet anderen zum Verkauf angeboten wurde. In den nächsten zwei Monaten versuchten sie in jeder freien Minute, ein Vorkaufsrecht geltend zu machen Doch den Verkauf an eine Aktiengesellschaft Anfang 2018 konnten sie nicht verhindern. Deren Arbeitsprinzip war der Weiterverkauf von Häusern an große, mit Wohnungen als Kapital spekulierenden Immobiliengesellschaften. Das hätte für alle Bewohner*innen das Ende bezahlbaren Wohnens bedeutet. Also wehrten sie sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. An vorderster Front engagiert sich seitdem K. Was sie motiviert, was aus dem Haus geworden ist und was das alles mit ihrem Leben gemacht hat, das erzählt sie hier.
„Ich habe mich immer gefragt, ob Grausamkeit von Grau kommt.“
Nach Deutschland gebracht hat mich Nietzsche. Ich habe Philosophie studiert und wollte ihn unbedingt auf Deutsch lesen. Mein Deutsch war nicht so gut, und ich dachte, ich kann das nur verbessern, wenn ich hier lebe. Zuerst bin ich nach Tübingen gegangen. Dann war mir die Stadt zu klein. Ich dachte: „Was ist besser als Tübingen? Naja, vielleicht Berlin.“ Ich war vorher noch nie in Berlin gewesen, aber bin dann für eine Woche hierhergereist, um eine Wohnung zu suchen. Das war 2001. Damals bin ich in der Wohnung gelandet, in der ich bis heute lebe. Mein einziges Problem mit der Stadt war, dass ich mir am Anfang nicht sicher war, ob ich einen Umgang mit dem Berliner Winter finde. Ich komme aus einer Gegend, wo meistens die Sonne scheint und es nicht so viel regnet. In Berlin habe ich mich immer gefragt, ob Grausamkeit von Grau kommt. Diese Wortherkunft würde total viel Sinn machen, finde ich.
Inzwischen gibt es für mich keine Alternative mehr zu Berlin. Berlin ist laut, unfreundlich und stinkt. Es ist eine Stadt, die man vielleicht hasst oder liebt. Ich liebe sie. Sie hat etwas Tolerantes und Ruhiges, nichts Hysterisches. Ich habe mich sofort sehr wohl gefühlt damit. Aber die Spekulationen auf dem Wohnungsmarkt machen genau das kaputt, was diese Stadt ausmacht.
„Und dann haben wir im Internet gesehen, dass unser Haus zum Kauf angeboten wird.“
Dass ich mich engagiere, das ist aber erst mit unserem Haus passiert. Zwei Jahre bevor es verkauft wurde, hatten wir als Bewohner*innen angefangen, uns damit zu beschäftigen, ob wir das Haus übernehmen und daraus ein Hausprojekt machen können. Es gab zu diesem Zeitpunkt schon meinen Wunsch nach Zusammenleben, aber noch keine politische Aktivität. Wir hatten mit dem Mietshäusersyndikat gesprochen, hatten ein Gutachten zum Haus machen lassen, wir hatten über Finanzierungsmöglichkeiten und eine Vereinsgründung nachgedacht, hatten eine Vereinssatzung verfasst. Wir hätten das Haus kaufen wollen mit einem Stiftungsmodell. 3,5 Millionen Euro hätten wir zusammenbekommen. Das war eine Leistung – und dann haben wir im Internet gesehen, dass unser Haus anderen zum Kauf angeboten wird.
Wir haben den Verein trotzdem gegründet und ich bin Vorstandsvorsitzende geworden. Das bin ich bis heute. Ich hatte von Anfang an den Auftrag, sozialverträgliche Mieten für alle Hausbewohner*innen zu sichern. Und wenn ich etwas zusage, dann halte ich das auch und bin sehr zäh, wie ein Pitbull, der zubeißt und nicht mehr loslässt. Und als der Hausverkauf passierte, habe ich mich gefragt: „Wie kann ich das jetzt schaffen?“
Ab dem Moment, als das Haus Anfang 2018 an eine Aktiengesellschaft verkauft wurde, haben wir angefangen zu spüren, was das bedeutet: Es gab böse Briefe, also haben wir uns beraten lassen; wir organisierten Haustreffen und -plena und machten Vernetzungsarbeit. Und die ganze Zeit war das begleitet von der Ungewissheit: Was ist die Strategie des Käufers? Will er uns rauskriegen? Findet er einen Grund? Wann kommt die Kündigung?
Ich wohne schon lange weit weg von meinem Herkunftsort. Für mich ist mein Zuhause mein Kokon. Es ist der Platz, wo ich mich wieder verwurzeln kann und zu mir kommen kann. Ich finde, eine Großstadt fordert das sehr stark, denn wenn man draußen ist, wird man die ganze Zeit mit Input bombardiert. Ein Zuhause zu haben, das unsicher ist, wo du dich nicht mehr ausruhen kannst, weil du nicht weißt, wie lange der Kampf und das alles dauert, das ist unerträglich. Dann merkst du erst, dass ein Zuhause ein Ort ist, an dem du loslassen kannst. Du musst diese Möglichkeit haben, loszulassen und dich in Sicherheit zu fühlen. Und das war bei uns nicht mehr der Fall. Das war der Moment, in dem ich verstanden habe, wie wichtig Wohnen ist. Die Wohnung ist wie eine weitere Haut, sie ist ein Teil von dir. Ich wohne seit fast 20 Jahren in meiner Wohnung. Sie ist voll von mir, von meiner Familie, von allem, was ich dort erlebt habe an Gutem und Schlechtem. Und wenn Leute aus ihren Wohnungen gerissen werden, nur weil jemand damit mehr Geld machen will, das ist nicht akzeptabel.
Ende 2018 haben wir schließlich davon erfahren, dass unser Haus an eine städtische Wohnungsbaugesellschaft weiterverkauft worden sein soll. Nur der zuständige Bezirksstadtrat konnte das zuerst nicht bestätigen. Es hat noch ungefähr einen Monat gedauert, bis er endlich anrief und sagte: „Ja, das stimmt.“ Und ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie das Gefühl danach war: Dieses Ergebnis war wirklich nicht unser größter Wunsch gewesen; aber es war diese große Erleichterung da, nicht mehr so sehr kämpfen zu müssen, wie in den Monaten davor; nicht mehr Angst haben zu müssen, dass ein Brief kommt, der uns mitteilt, dass wir jetzt doch an eine der wirklich bösen Immobiliengesellschaften verkauft worden sind.
Die Zeit, in der wir um unser Haus gekämpft haben, war eine sehr intensive Erfahrung. Unser Motto war „Herz statt Profit“. Die ganze Solidarität zu spüren; zu erleben, wie viele Leute bereit waren, uns zu helfen; wie vielen es nicht egal war, was mit uns passiert, auch wenn sie uns nicht kannten, das war sehr beeindruckend und etwas Positives in dem Ganzen. Zu merken, dass man nicht allein ist, das ist eine extrem wichtige Erfahrung. Es ging vielleicht nicht nur um Solidarität, sondern dass ein Haus sich wehrt, das macht für viele Leute Sinn, nicht nur für uns. Und auch wenn wir selbst mit unserem eigenen Kampf erst einmal durch sind, es ist uns wichtig, etwas zurückzugeben, z.B. mit unseren Beratungen für andere Mieter*innen, die in vergleichbaren Situationen sind, wie wir es waren.
„Unser Haus ist mein Zuhause.“
Jetzt bin ich Vollzeitaktivistin. In meiner gesamten Freizeit mache ich stadtpolitische Arbeit, nur das. Den Aufwand habe ich noch nie genau gezählt, aber es ist wahrscheinlich eine ganz normale Arbeitswoche. An Wochenenden versuche ich nichts zu machen, aber manchmal sind sie doch komplett weg.
Als es noch darum ging, ob wir ein Vorkaufsrecht geltend machen können, war der Zeitdruck so groß, dass ich alle meine Zeit da hineingesteckt habe. Und zwar nicht nur ich. Es war wichtig, dass alle aus dem Haus, die das konnten, das gemacht haben. Wir hatten nur acht Wochen Zeit.
Im Anschluss ging es vor allem um die Frage, wie wir jetzt strategisch weitermachen. Wir mussten uns neu orientieren und das auch erst mal verdauen, dass wir unser Haus nicht kaufen konnten trotz des Geldes, für das wir Zusagen hatten, und dass wir jetzt in der Hand des Käufers waren, dass er es doch geschafft hatte. Und dann stand die Frage im Vordergrund, was wir jetzt gegen ihn machen können.
Durch die Vernetzung, die wir damals angefangen haben, bin ich jetzt sehr gut in verschiedene Strukturen integriert, z.B. im Bündnis #Mietenwahnsinn, das ich liebe, auch wenn es sehr anstrengend ist. Ein anderes Netzwerk, „Zusammen für Wohnraum“, haben wir ins Leben gerufen.
Unser Haus ist mein erstes Zuhause. Es ist der erste Ort, an dem ich mich wirklich zuhause und angekommen fühle. Und es ist ein Ort, den ich gewählt habe. Man muss geradezu eine Anleitung haben, um in unserem Haus zu wohnen. Die Türklinke z.B. muss man genau so und nicht anders hochziehen, damit die Türe aufgeht. Es gibt einige Sachen, die nicht richtig funktionieren, und an diesem Haus ist manches kaputt, aber so wie es ist, ist es wunderschön. Ich glaube, wir alle im Haus haben eine Sensibilität für diese alte Dame, die es ist. Sie hat Narben und eine ganz besondere Ausstrahlung: stolz und mit Geschichte. Unser Haus ist, so wie es ist, weil Leute darin gewohnt haben und weil ihre Spuren nicht alle weggemacht sind. Dass man diese Spuren sieht, das gibt dem Haus eine Seele.
Philosophie habe ich studiert, weil ich dachte, dass Ideen die Welt verändern können. Und das habe ich als meine Aufgabe betrachtet. Das Thema einer meiner Hausarbeiten an der Universität war: „Warum Philosoph*innen?“ Und als der Dozent die Arbeiten im Seminar zurückgegeben hat, sagte er: „Es gibt jemand unter euch, der die Philosophie mit Batman identifiziert.“ Und das war ich. Ich habe die Kritik des Dozenten, die er äußerte, damals nicht verstanden. Ich habe gedacht: „Wenn ihr damit die Welt nicht verändern könnt, warum macht ihr dann Philosophie?“ Und ich glaube erst jetzt, durch meine Arbeit für das Haus, habe ich meinen Platz gefunden. Ich mache etwas, was sinngebend ist und Veränderungen voranbringt. Ich bin auf der richtigen Seite. Ich fühle mich umgeben von Leuten, die offen, solidarisch, tolerant sind. Ich habe das Gefühl, dass ich tatsächlich Sachen anschieben und bewegen kann. Die Geschichte mit unserem Haus hat mir geholfen, meinen Weg zu finden.
„Wohnen sollte ein Menschenrecht sein.“
Das ökonomische System, so wie es ist, gibt uns nicht den Wohnraum, den wir brauchen, da muss sich erst etwas Grundlegendes verändern. Das System, wie es zurzeit ist, was es erlaubt und zulässt, das ist einfach obszön. Eine Minderheit besitzt das ganze Kapital und die große Mehrheit auf dem Wohnungsmarkt „verhungert“. Um das zu sehen, muss man nicht Marx gelesen haben. Die Moral müsste stärker sein als das Kapital.
Ich fände ein einklagbares Recht auf Wohnen fundamental. Dafür setze ich mich gerade in mietenpolitischen Bündnissen ein. Wohnen sollte ein Menschenrecht sein. Und könnten wir gleichzeitig ein Mitbestimmungsrecht von Mieter*innen durchsetzen, dann würde das die Machtverhältnisse grundlegend verändern. Es würde die Hierarchie zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen ausgleichen. Dann könnten nicht mehr nur die Vermieter*innen etwas von den Mieter*innen fordern, sondern auch umgekehrt – nicht einzeln, aber kollektiv. Deshalb halte ich auch eine Mieter*innengewerkschaft als Werkzeug für wichtig. Man bräuchte dann z.B. nicht mehr die Politik für Verhandlungen, sondern könnte das direkt miteinander machen.
Ich wünsche mir ein solidarisches Wohnprojekt. Mein Wunsch wäre, dass wir uns im Haus stärker vom kapitalistischen System trennen und wirklich eine andere Wohnform realisieren. Da stehen wir erst am Anfang, weil wir jetzt erst gestalten können. Und ich weiß nicht, ob ich das alles erkannt hätte, ohne das, was uns mit dem Haus passiert ist. Ich musste schließlich auch ganz viel abbauen, z.B. meinen Begriff von Eigentum. Und das war Arbeit, weil dieser Begriff so stark in uns verankert ist: Eigentum heißt in dieser Perspektive Sicherheit. Und ohne diesen Begriff hat man erst einmal das Gefühl, es gibt keine Sicherheit mehr. Aber man kann das ersetzen, z.B. durch Solidarität, durch die Sicherheit, die dir von anderen gegeben wird. Dafür habe ich mich eingesetzt und jetzt möchte ich es leben. Ich will solidarisches Wohnen. Und ich würde es gerne in unserem Haus machen. Ich hoffe, dort ist Raum dafür.
Protokoll und Photographien: Filippo Smerilli
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