Im türkischen Café am Kotti läuft „Monotonie“ von Ideal. „Monotonie in der Südsee, Melancholie bei dreißig Grad. Monotonie unter Palmen“. Hassan Qadri würde sicher nicht von Monotonie sprechen, wenn er die letzten Monate seines Lebens beschreiben müsste. Seit sechzehn Jahren betreibt er das Bekleidungsgeschäft „Kamil Mode“ am Kottbusser Damm. Im Juli 2018 erhielt er unmittelbar nach einer Mieterhöhung die Kündigung. Der Mietvertrag ist inzwischen seit drei Monaten abgelaufen, aber Hassan ist geblieben. „Ich habe gesagt: Nein, so einfach gehe ich nicht! Ich musste hier in Deutschland immer kämpfen. Zuerst mit den Papieren, dann um Arbeit und jetzt kämpfe ich wieder.“ „Campari auf Tahiti, Bitter Lemon auf Hawaii“, singen Ideal. Ich frage mich: „War »Angst« das Wort, das im Gespräch mit Hassan am häufigsten fiel? Oder war es das Wort »Recht«?“
„Dieses Geschäft ist meine Existenz“
Als ich in Hassans Geschäft komme, steht er hinter der Theke. Er faltet und verpackt Ware und zeichnet sie dann mit Preisschildern aus. Die an Kleiderständern hängende Frauenkleidung ist akkurat aufgereiht und preiswert. Hassan arbeitet in seiner grauen Winterjacke, es ist kühl hier. „Dieses Geschäft ist meine Existenz. Wenn ich meine Existenz verliere, kann ich meine Wohnung nicht mehr zahlen. Ich habe Angst, auf der Straße zu landen.
Immer wieder kommen Stammkundinnen herein. Drei Generationen sind es inzwischen: „Zuerst kamen die älteren Frauen, dann ihre Töchter und jetzt ihre Enkelinnen.“ Die Blusen, Röcke und Kleider haben einfache Schnitte. Hier und da glitzert Strass. Hassan bietet alle Kleidung bewusst auch in großen Größen an. „Weil die Leute brauchen solche Sachen“, erklärt er. „Er war der erste hier mit solcher Kleidung“, sagt eine der Kundinnen. Und eine andere: „Es geht nicht, dass du aufhörst, wo sollen wir dann unsere Sachen kaufen?“
„Was habe ich falsch gemacht?“
Einfach aufhören, das wäre tatsächlich eine naheliegende Möglichkeit. Denn wie es weitergeht, das weiß Hassan nicht. „Das Geschäft ist meine Existenz. Ich habe Angst. Weil es jeden Tag sein kann, dass ich hier wegmuss. Gesetzlich hat der Vermieter vielleicht Recht, aber moralisch?“ Bis zur Rente arbeiten, „nicht auf dem Amt“, wie er sagt, „betteln müssen“, seine „Familie ernähren“ – das ist alles, was dieser sechzigjährige Mann will. Aber der Vermieter weigert sich, den Mietvertrag zu verlängern, ohne konkreten Grund. Jetzt versteht Hassan, der 1982 aus Pakistan nach Deutschland kam, dieses Land nicht mehr: „Deutschland ist doch ein demokratisches Land. Jeder hat hier ein bisschen Recht, habe ich gedacht. Ich habe gedacht, es spielt eine Rolle, dass ich jetzt seit sechzehn Jahren hier bin, dass ich seit sechzehn Jahren hier in diesem Geschäft mein Leben habe. Hat das eine Bedeutung? Oder hat das keine Bedeutung?“ Seine Stimme wird lauter bei diesen Sätzen. Was soll ich antworten? Soll ich sagen: „Hassan, für Vermieter im heutigen Berlin sind Biographien nichts wert, deine Gewerberäume schon“? Oder soll ich ihm sagen: „Hassan, das deutsche Mietrecht kennt keine Verantwortung und keine Moral“? „Was habe ich falsch gemacht?“ fragt er.
Nach dem Gespräch mit Hassan, auf dem Weg zum Kotti gehe ich vorbei an hippen Imbissen mit ausschließlich englischen Aushängen; an Cafés, die nur Bohnen ausgesuchter Sorten mit ausgezeichneter regionaler Herkunft verwenden. Solche Läden werden immer mehr. „Dieses Problem ist nicht nur meins. Dieses Problem gibt es in ganz Berlin“, sagt Hassan, und er meint damit die Verdrängungsprozesse, die andere Gentrifizierung nennen. „Wo früher Aldi war, ist jetzt ein Bioladen. Aber der ist teuer“, sagt er. Das ist eine simple Formel, die etwas Wesentliches trifft. Aber warum gibt dieser Mann nicht einfach auf? Er sagt „Man hat doch etwas Recht, und dann muss man um dieses Recht kämpfen!“ Und dann ergänzt er: „Das ist doch meine Existenz. Ich habe große Angst davor, sie zu verlieren. Wenn ich kämpfe, dann ist da weniger Angst.“
„Ich fühl mich gut. Ich steh auf Berlin.“
Im türkischen Café am Kotti erinnere ich mich an meine Lieblingszeilen aus Ideals „Berlin“, dieser großartigen Hymne auf eine verlorene Stadt: „Oranienstraße, hier lebt der Koran, dahinten fängt die Mauer an. […] Graue Häuser, ein Junkie im Tran, es riecht nach Oliven und Majoran. […] Fenster auf, ich hör Türkenmelodien. Ich fühl mich gut. Ich steh auf Berlin.“ Hört man auf der Oranienstraße noch „Türkenmelodien“? Nach Majoran riecht es dort jedenfalls nicht mehr, sondern nach teuren Parfums. Und wenn am Kottbusser Damm ein Geschäft wie „Kamil Moden“ verschwindet, dann herrscht hier bald nur noch die neue Berliner Hipness in ihrer ganzen Monotonie.
Text und Photographien: Filippo Smerilli
Nachtrag: Inzwischen hat Hassan neue Räume gefunden: Kamil Mode, Karl-Marx-Straße 160, 12043 Berlin-Neukölln. Alles Gute für den Neuanfang!
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